Campus Weißenhof

Angesiedelt auf dem Stuttgarter Killesberg in direkter Nachbarschaft zur weltweit bekannten Weißenhofsiedlung finden sich auf dem Campus Weißenhof der ABK Stuttgart drei Gebäude, die zu unterschiedlichen Zeiten errichten worden sind: der ehrwürdige, sog. Altbau der Akademie, der Neubau 1 oder „Architektenbau“ nebst Werkstattbau, sowie der Neubau 2, dem jüngsten der drei Gebäude auf dem Campus.

Zwei der Gebäude wurden in die Denkmalliste aufgenommen, in drei Gebäuden finden sich künstlerische Arbeiten, zu denen unter anderem jene des Video- und Medienkünstlers Nam June Paik (1932–2006) sowie des israelischen Künstlers Micha Ullman (geb. 1939) gehören.

Altbau und Denkmalschutz

Der sogenannte Altbau am Weißenhof 1 ist als Kulturdenkmal in das Denkmalbuch des Landes eingetragen. Der Denkmalcharakter ist dabei nicht allein durch die architektonische Formensprache begründet, sondern vor allem durch die zugrundeliegenden funktionalen und konzeptionellen Überlegungen. 

1902 hatte der aus München nach Stuttgart berufene Bernhard Pankok (1871‒1943) die Leitung der „Kunstgewerblichen Lehr- und Versuchswerkstätten“ übernommen. Seit seiner Berufung nach Stuttgart hatte Pankok sich für einen Neubau zur Unterbringung „seiner“ Schule eingesetzt. Die Regierung sah sich damals wegen des Bahnhofumbaus genötigt, eine neue Kunstgewerbeschule zu bauen. Pankoks Plan, die Lehrwerkstätten und die Kunstgewerbeschule unter seiner Leitung zusammenzuführen, fand Zustimmung. Im Sommer des Jahres 1913 wurde Bernhard Pankok die gemeinsame Leitung der Kunstgewerbeschule und der Lehr- und Versuchswerkstätten übertragen. Im weiteren Verlauf des Jahres bezogen beide Institutionen unter dem gemeinsamen Namen „Königlich Württembergische Kunstgewerbeschule“ das seit 1906 geplante Gebäude am Weißenhof. 

Pankok hatte intensiv an der Planung des Neubaus mitgewirkt, dessen Gestaltung die Finanzverwaltung an das Architekturbüro Eisenlohr & Pfennig delegiert hatte. Das neue Gebäude folgte den Idealen einer funktionalen und sachlichen Jugendstil-Architektur. Es sollte den zahlreichen Werkstätten und Fachabteilungen Raum bieten. Sie wurden so angeordnet, dass die Studierenden und alle anderen Nutzer des Gebäudes stets die Werkstätten passierten und mitbekamen, was dort geschah. Pankoks Idee einer Symbiose aller Künste unter einem Dach ist „als der früheste Versuch einer Gesamtschule noch vor dem‘Bauhaus’”bezeichnet worden.

Gemeinsam mit der neu eingerichteten Straßenbahnlinie, die vor dem Gebäude ihre Endschleife fuhr, wurde am 15. Oktober 1913 der stattliche Neubau eröffnet. Die Stuttgarter Kunstgewerbeschule mit ihren neun Fachabteilungen entwickelte sich zu einer der größten und führenden Hochschulen ihrer Art in Deutschland.

Neubau 1 und Denkmalschutz

Kunst auf dem Campus

Micha Ullman, „DU“, 1992

Um Micha Ullmans „DU“ zu verstehen, muss man einen Spaziergang durch die Akademie unternehmen. Das Kunstwerk entstand 1992 und besteht aus vier Einzelelementen an unterschiedlichen Orten auf dem Campus. Allen Werkteilen gemein ist ihre Materialität: rechteckige, vitrinenartige Kästen aus Metall und Glas, wahlweise mit keinem, einem oder zwei Beinen aus Vierkantrohr. Darin halbhoch aufgeschüttet und sorgfältig mit einem Pinsel eingeebnet: roter Sand aus Israel, dem Herkunftsland von Micha Ullman. Als Werkstoff ist dieser im Œuvre des Künstlers und ehemaligen Akademie-Professors wiederholt sichtbar – so zum Beispiel in der „Stufen“-Skulptur in der Berliner St. Matthäuskirche oder dem Objekt „Sand Table“ (2010), einer dreidimensionalen Kraterlandschaft mit scheinbar perforierten Umrissen von Essbesteck.

„DU“ umfasst insgesamt über 150 Liter Sand, verteilt auf die vier Kastenelemente. In die körnigen Landschaften eingelassen sind reduzierte, kegelstumpfartige Formen, welche den Eindruck von kraterähnlichen Oberflächen verstärken. Bei näherer Betrachtung dieser Negativformen bemerkt man, dass manche Flächen schärfer umrissen sind und andere Konturen durch nachrieselnden Sand verwischen – stetige Veränderungen gehören also in gewissem Maße zum Werk. Sind die schüsselartigen Formen in der sandigen Landschaft jedoch nach einer gewissen Zeit nicht mehr erkennbar, werden sie nachgeschärft, wofür der Künstler eigens Kollegen vor Ort instruiert hat.

Micha Ullman schuf diese Arbeit für die Akademie, in einer Phase der baulichen Erweiterung der Hochschule. Der Neubau 2 war zur damaligen Zeit als Ergänzung zu den Bestandsgebäuden Altbau und Neubau 1 gerade in der Realisierung. Ullman wollte alle drei Gebäude auf dem Campus miteinander verknüpfen und platzierte nach Fertigstellung des Neubau 2 dort zwei der vier Elemente von „DU“ im Erdgeschoss. Ein weiteres lässt sich im Untergeschoss des Neubau 1 finden, das vierte Element steht im 3. Obergeschoss des Altbaus. Hat man alle vier Objektteile erkundet und setzt sie konstruktiv im Kopf zusammen, wird deutlich, was das Werk eigentlich darstellt: einen gedeckten Esstisch, einen Ort der Zusammenkunft und des Dialogs.

Nam June Paik, „Two Way Communication“, 1996

An einem prominenten Platz im Foyer des Neubaus 2 der ABK Stuttgart befindet sich die Videoinstallation Two Way Communication des Künstlers Nam June Paik. Der „Paik“, wie dieser an der Akademie genannt wird, gehört zu einer der wenigen Videoinstallationen in Deutschland – und was die Größe der Installation betrifft, zum einzigen Werk bundesweit. 

Die Multi-Monitor-Installation besteht aus 92 Monitoren, die keine zusammenhängende Fläche bilden, sondern sind so angeordnet, dass sich eine von links nach rechts treppenartige Konfiguration ergibt. 63 Fernsehapparate sind in einer Breite von neun Monitoren auf einem rechteckigen, schwarzen Bauteil montiert. Die restlichen Geräte sind an der Wand, etwas nach hinten versetzt, angebracht. Die lockere Gruppierung der Monitore erweckt beim Betrachten der Installation den Anschein, als hätten sich die Apparate aus der Basis gelöst und würden nach oben steigen beziehungsweise nach unten sinken.

Der Grundgedanke von Nam June Paiks Installation „Two Way Communication“ wird schon anhand des Titels deutlich. Auf 92 Monitoren wird auf mehreren Ebenen Kommunikation thematisiert und zugleich ermöglicht. Dieses umfassende Thema steht in enger Verbindung mit dem Aufstellungsort, dem Eingangsfoyer, einem Ort des kommunikativen Austauschs. Paiks Installation kann auf zwei verschiedene Arten bespielt werden: zum einen mit vorgefertigten Videodiscs (Robotklavier, Binary und Frankenstein). Diese Filme zeichnen sich durch Merkmale wie schnellen Schnitt und abstrahierende Bearbeitung des Bildmaterials aus. Alle drei Clips werden ohne Ton gezeigt – dadurch kommt der audiovisuelle Charakter des Videos nicht ganz zur Geltung. Zum anderen kann Nam June Paiks Installation kann auch live mit Überwachungsvideos aus der Eingangshalle bespielt werden. Paik verfremdet hier die eigentliche Funktion der Überwachung: die Überwachten beobachten sich selbst. Die Überwachung wird sichtbar gemacht und die unfreiwillig Kontrollierten bekommen die Chance, auf diese neue Situation zu reagieren.

Nam June Paiks Videoinstallation Two Way Communication bleibt zeitlos aktuell, da in der von elektronischen Medien bestimmten Gegenwart das Thema der beabsichtigten und unabsichtlichen Überwachung das alltägliche Leben beeinflusst.

Im Sommer 2018 wurde die Videoinstallation aufwendig restauriert. Durchgeführt wurden die Restaurierungsarbeiten von Benjamin Zech, Masterstudent aus dem Studiengang Konservierung und Restaurierung Neuer Medien und Digitaler Information (KNMDI) unter der Betreuung von Professor Johannes Gfeller. Seitdem wird Paiks Installation jeden ersten Mittwoch im Monat von 16.30 bis 18 Uhr bespielt und der Öffentlichkeit präsentiert.

Nam June Paik wurde 1932 in Seoul, Südkorea geboren und ist 2006 in Miami/Florida verstorben. Das zentrale Thema bei Nam June Paik ist die Videokunst, deren Hauptvertreter und Mitbegründer er war. Paik, ursprünglich Musiker, interessierte sich als Fluxus-Künstler im Verlauf der 1960er Jahre zunehmend für die Arbeit mit den flimmernden und bewegten Bildern. Mit Hilfe eigener technischer Entwicklungen im analogen und digitalen Bereich verlieh er dem Genre der Videokunst bahnbrechende Impulse.

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