Das Oddy-Torium – Test von Restaurierungsmaterialien

Zur Aufbewahrung und Ausstellung von Kunst und Kulturgut verwendete Materialien dürfen keine Schadstoffe wie etwa Essigsäure oder Schwefelwasserstoff emittieren, die Exponate angreifen können. Daher werden beispielsweise Baumaterialien für Vitrinen in Museen systematisch mittels eines einfachen, beschleunigten Korrosionstests nach Oddy geprüft. Dabei werden Blei-, Silber- und Kupfercoupons den Emissionen aus zwei Gramm des Materials bei 60 °C und 100 % Luftfeuchte über vier Wochen in einem geschlossenen Reagenzglas (50 ml) ausgesetzt. Die Testbleche werden dann qualitativ auf Korrosion inspiziert. Bei Bestehen kann die Emission relevanter Luftschadstoffe mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden.

Auch Restaurierungsmaterialien wie z.B. Klebstoffe, Schutzlacke und Festigungsmittel müssen emissionsfrei sein, da sie im Objekt verbleiben und mit diesem ebenso in dichte Vitrinen oder in mit Schutzverglasung versehene Gemälde gelangen. Überraschenderweise wurden aber viele bisher gar nicht getestet. Stichproben einiger Produkte aus dem Fachhandel erwiesen sich sogar als deutlich korrosiv. Daher sollen nun im Projekt „Das Oddy-torium. Test von Restaurierungsmaterialien“ systematisch alle gängigen Restaurierungsmaterialien getestet werden. Ziel des Massen-Screenings von Restaurierungsmaterialien ist es, Restaurator*innen und dem Fachhandel eine informierte Auswahl der eingesetzten Produkte zu ermöglichen, ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der Restaurierungsqualität.

Vorgeschichte: Cellulosenitrat

Die restauratorische Klebung von Keramikscherben mit Cellulosenitrat-Produkten ist in Deutschland weit verbreitet, sie lassen sich gut verarbeiten. Der Restaurierungsfachhandel vertreibt dazu die Produkte Mecosan und Archäocoll. Letzteres wurde eigens ohne die üblichen Weichmacher formuliert, um Veränderungen von Klebeeigenschaften durch deren Migration auszuschließen. Zwar weist die Restaurierungsliteratur auf die Instabilität von Cellulosenitrat (CN) hin (Selwitz 1988), von Praktikern wird das wegen deren guten Langzeiterfahrungen aber kaum in Betracht gezogen. Die Haltbarkeit solcher Klebungen lässt sich aus künstlichen Alterungsversuchen auf immerhin 100 Jahre abschätzen (Shashoua et al. 1992). Auch ist das Material Keramik selbst weitgehend inert gegenüber den sauren nitrosen Gasen, die von Cellulosenitrat emittiert werden. Was aber passiert, wenn ein so geklebter Fund in eine Vitrine zusammen mit empfindlicheren Objekten ausgestellt wird?

Verblüffenderweise fehlten dazu Untersuchungen. Eine gefährliche Forschungslücke wie sich herausstellte! Beim Oddy-Test von solchen Keramikklebstoffen für die Restaurierung traten die stärksten jemals in Stuttgart beobachteten Korrosionsreaktionen an Testblechen auf („Popping Stoppers, Crumbling Coupons“, so Ziegler et al. 2014). Sogar Silber wurde deutlich angegriffen, trotzdem sind CN-Produkte („Zaponlack“) als restauratorische Silberschutzlacke nach wie vor gängig. Das britische Frigilene bestand den Oddy-Test nicht (Eggert et al. 2019). Das amerikanische Agateen No. 27, das nicht nach Deutschland verschifft wird, wurde jetzt von Kollegen in Indianapolis ebenfalls negativ getestet (Eggert et al. 2022). Auch Ersatzprodukte wie die Acryldispersion Primal WS 24 bestanden nicht, vermutlich wegen eines darin enthaltenen schwefelhaltigen Fungizids. Diese Forschungen und das Bewusstsein um eine alarmierende Forschungslücke waren der Ausgangspunkt für das Projekt Oddy-torium.

Projekt

Zur Detektion aller relevanten, aus Materialien emittierten Luftschadstoffe hat sich seit den 70er Jahren (Oddy 1973) die Korrosion an Teststreifen aus Kupfer, Silber und Blei bewährt („Oddy-Test“). Zur Beschleunigung wird die Temperatur auf 60 °C erhöht. Da Metallkorrosion exponentiell mit der Luftfeuchtigkeit ansteigt, wird bei 100 % relativer Luftfeuchte (=Sättigungsfeuchte) gearbeitet. Durch ein klein gehaltenes Luftvolumen (50 ml) der Testkammer (Reagenzglas mit 2 g Produktprobe) ist die Schadstoffkonzentration relativ hoch. Durch diese Beschleunigung lassen sich bei einer Testdauer von 4 Wochen die Ergebnisse auf jahrelange Exposition bei Normalbedingungen extrapolieren. Die Bedeutung dieses „Oddy-Tests“ liegt wegen der einfachen Durchführung in den vielfältigen, langjährigen Anwendungserfahrungen. Nach Green und Thickett (1995: 145) sind im Britischen Museum bei allen entsprechend getesteten Materialien später keine Korrosion durch Ausgasung von Schadstoffen aufgetreten, was jetzt von Korenberg et al. (2018: 2) noch einmal bestätigt wurde. Damit kann der Oddy-Test eine praxisbezogene Sicherheit vermitteln, die er neueren Methoden zur Messung der Korrosivität von Umgebungsluft voraushat. Als einfache Methode, die keine speziellen Analysengeräte mit geschultem Fachpersonal voraussetzt, ist der Oddy-Test ideal zum Massen-Screening von Restaurierungsmaterial. Gelegentlicher Kritik am Test (z.B. Reproduzierbarkeit, gelegentliche Korrosion bei Blindproben, subjektive Beurteilung des Korrosionsgrads) konnte in einer jüngsten Publikation (Korenberg et al. 2018) mit weiteren Modifikationen (z.B. Vorbereitung der Metallcoupons, Reduktion der Wassermenge) begegnet werden.  

Besteht ein Material den Oddy-Test, so kann mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass keine korrosiven Verbindungen ausgegast werden. . Besteht es den Test nicht, weiß man aber noch nicht, woran das liegt. Hier hat sich in Stuttgart die routinemäßige Untersuchung der gebildeten Korrosionsprodukte mittels Ramanmikroskopie als hilfreich erwiesen: Die Entwicklung nitroser Gase aus Cellulosenitrat ließ sich z. B. durch die Bildung basischer Kupfernitrate erkennen, Spuren von Ethylacetat in einem Lackfilm führten zur Bildung von Bleiacetat (Ziegler et al. 2014). Dazu ergänzend kann in Stuttgart bei Materialien unbekannter Zusammensetzung deren Hauptkomponenten mittels FTIR-Spektroskopie untersucht werden.

In Einzelfällen muss auch auf die direkte Luftanalytik in Expositionskammern mittels Gaschromatographie zurückgegriffen werden, um emittierte Schadstoffe dingfest zu machen. Dazu hat sich das BEMMA-Verfahren (Bewertung von Emissionen aus Materialien für Museums-Ausstattungen) der Bundesanstalt für Materialforschung- und -prüfung (BAM) bewährt (Wiegner et al. 2012, Horn und Hahn 2020).

Trocknung lösemittelhaltiger Produkte

Manche in Lösemittel gelösten Restaurierungsmaterialien halten Reste von diesen hartnäckig zurück. Stuttgarter Erfahrungen haben gezeigt, dass dies Oddy-Tests verfälschen kann (Eggert et al. 2019). Oddy-Tests des Cellulosenitrat-Klebstoffs HMG im britischen Museum nach nur wenigen Tagen Trocknung gingen positiv aus (Korenberg et al. 2018). Länger getrocknete Proben in Stuttgart erzeugten hingegen eindeutig Korrosion. Offensichtlich wirkten noch vorhandene Lösemittelreste als Stabilisator für Cellulosenitrat. Umgekehrt erzeugten aus einer Ethylacetat-Lösung getrockneten Probe des alterungsstabilen Acrylats Paraloid B 72 Korrosion am Bleicoupon. Ursache waren hier Reste des Lösemittels.

Das Standardprotokoll (Korenberg et al. 2018) muss daher um einen gezielten Trocknungsschritt ergänzt werden. Vakuum hat sich zur beschleunigten Trocknung nicht bewährt. Da der Oddy-Test in Wärmeschränken bei 60 °C durchgeführt wird, bietet es sich an, diese Temperatur auch zur beschleunigten Trocknung einzusetzen. Bei Paraloid B 72 in Ethylacetat werden mindestens 10 Tage benötigt, bis keine Korrosion mehr im Oddy-Test auftritt. Ob diese Zeit auch für andere Harze und Lösemittel ausreicht, wird in einem umfangreichen Untersuchungsprogramm im Rahmen einer Masterarbeit geprüft.

Alte Restaurierungsmaterialien

Unwiederbringliches Kulturgut kann nicht nur durch neu eingebrachte Restaurierungs-materialien gefährdet werden, oft haben die Objekte schon eine lange Restaurierungsgeschichte mit entsprechendem Materialeinsatz hinter sich. Bei älteren Maßnahmen sind die Eingriffe oft nicht ausreichend dokumentiert, so dass Unklarheit über die eingesetzten Produkte besteht. Statt an Museumsobjekten vorgefundene Altmaterialien zu beproben, soll daher auf im Stuttgarter Institut für Konservierungswissenschaften vorhandene Rückstellproben gebräuchlicher Restaurierungsmaterialien der Stuttgarter Restaurierungsstudiengänge zurückgegriffen werden. Ihre jahrzehntelange Lagerung stellt eine ‘natürliche‘ Alterung dar, die Einfluss auf Schadstoffemissionen haben kann.
Seit 1947 ist die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart eine der ersten regelrechten Ausbildungsstätten für Restaurator*innen in Europa. Aus der mehr als siebzigjährigen Institutsgeschichte liegt eine ca. 400 Proben umfassende, einmalige Sammlung historischer Restaurierungsmaterialien vor. Sie beinhaltet einerseits die gängigen Konservierungsmaterialien der jeweiligen Zeit, vor allem den 1950/1960er Jahren, teilweise aber auch Vorprodukte, die unter der Ägide Kurt Wehltes zusammen mit verschiedenen Industriefirmen weiterentwickelt wurden. Dieser Bereich ist bisher nur für frühe Polyvinylacetate erforscht.

Im vorliegenden Projekt sollen aus der Sammlung ca. 50 gängige Konservierungsmaterialien aus 70 Jahren ausgewählt werden. Schwerpunkte sollen solche Materialien sein (z.B. Mowilith, AW2A), von denen mehrere Gebinde aus unterschiedlichen Zeiträumen, mit höchstwahrscheinlich unterschiedlicher Zusammensetzung vorliegen, um so wissenschaftlich in einigen Fällen die Forschung systematisch auszuweiten.

Bisherige Ergebnisse

Ergebnisse in tabellarischer Form (pdf)

Celluloseether
Celluloseether werden in der Restaurierung für viele Anwendungen an unterschiedlichsten Materialien eingesetzt. Bereits Feller und Wilt (1990) wiesen darauf hin, dass die einzelnen Substanzen sich hinsichtlich des Alterungsverhaltens deutlich unterscheiden. Daher wurden alle gängigen Materialien (insgesamt 60) getestet. 33 Proben bestanden den Test ohne jegliche Korrosion, 20 verursachten schwache Korrosion und können höchstens temporär eingesetzt werden. Bei der Hydroxypropyl-Cellulose Klucel G erwies sich die Korrosivität als abhängig vom Reinheitsgrad. Bei den heute lieferbaren Produkten enthält nur die pharmazeutische Qualität (Klucel GFPharm) keine herstellungsbedingten Essigsäurereste und ist daher korrosionsfrei.

Alle Einzelergebnisse wurden von Steger et al. 2022 (https://doi.org/10.1186/s40494-022-00688-4 ) frei zugänglich publiziert.

Die in Steger et al. 2022 publizierten Ergebnisse zu Celluloseethern wurden direkt dem Restaurierungsfachhandel übermittelt. Insbesondere das im Oddy-Test evaluierte überraschend korrosive Verhalten neuerer Chargen des häufig in der Restaurierung verwendeten Klucel G wurde thematisiert und das positiv getestete Alternativprodukt Klucel GF Pharm vorgeschlagen. Die Antworten der Firmen fielen sehr positiv aus und das korrosive Produkt soll ersetzt werden. Dieses Beispiel zeigt, dass das Projekt „Oddy-torium“ in der Tat praktisch verwertbare Ergebnisse generiert, die in der Restaurierung zu einer Bewusstseinsschärfung bezüglich des korrosiven Verhaltens verwendeter Materialien beitragen sowie für eine bessere Produktauswahl im Handel sorgen und damit zu einer besseren Restaurierungspraxis führen.  

Gesättigte Salzlösungen
Mit gesättigten Salzlösungen kann man in dichten Vitrinen eine feste relative Luftfeuchtigkeit (rH) einstellen. Diese werden aber nur selten verwendet, vermutlich wegen Bedenken korrosiver Emissionen (Hilbert 1987, 181). Dies wurde aber erst jetzt mit einem modifizierten Oddy-Test geprüft. Magnesiumnitrat (rH = 53 %) und Kaliumcarbonat (rH = 43 %) bestehen den Oddy-Test und können bedenkenlos verwendet werden. Magnesiumchlorid (rH = 33 %), wie es für trocken auszustellende empfindliche Gläser im Einsatz ist, verursacht dagegen Korrosion am Kupfercoupon. (Eggert 2022) (https://doi.org/10.1186/s40494-022-00689-3)

Literatur

Robert L. Feller und Myron H. Wilt. 1990.
Evaluation of Cellulose Ethers for Conservation. Research in Conservation 3.
Los Angeles: Getty Conservation Institute.

Green, L. R., und D. Thickett.1995.
Testing materials for use in the storage and display of antiquities: a revised methodology.
Studies in Conservation40/3, 145-152.

Günter S. Hilbert. 1987.
Sammlungsgut in Sicherheit Teil 2: Lichtschutz, Klimatisierung.
Berlin: Gebr. Mann

Wolfgang Horn und Oliver Hahn. 2020.
Die emissionsarme Vitrine im Fokus - Beschreibung des Untersuchungs- und Bewertungs-verfahrens nach BEMMA.
https://netzwerke.bam.de/Netzwerke/Content/DE/Downloads/Nike/bemma-untersuchungsverfahren.pdf?__blob=publicationFile [Zugriff: 19.07.2022]

Capucine Korenberg, C., Melanie Keable, Julie Phippard und Adrian Doyle. 2018.
Refinements Introduced in the Oddy Test Methodology.
Studies in Conservation63/1, 2-12.

William A. Oddy. 1973.
An unsuspected danger in display.
The Museums Journal (Museums Association) 73/1, 27-28.

Laurianne Robinet und David Thickett. 2003.
A New Methodology for Accelerated Corrosion Testing. Studies in Conservation 48, 263-268.

Selwitz, C. M. 1988.
Cellulose nitrate in conservation. Research in conservation 2.
Los Angeles: Getty Conservation Institute.

Yvonne Shashoua, Susan M. Bradley und Vincent D. Daniels. 1992.
Degradation of cellulose nitrate adhesive.
Studies in Conservation37/2, 113-119.

Katharina Wiegner, Matthias Farke, Wolfgang Horn, Oliver Jann und Oliver Hahn. 2012.
Den Schadstoffen auf der Spur: die Bewertung von Emissionen aus Materialien für Museumsausstattungen mithilfe des neuen BEMMA-Schemas.
Restauro118/3, 38-44.

Projektbezogene Publikationen

2014

Julia Ziegler, Charlotte Kuhn-Wawrzinek, Margarete Eska und Gerhard Eggert:
Popping stoppers, crumbling coupons – Oddy testing of common cellulose nitrate ceramic adhesives. In: Janet Bridgland (ed.), ICOM-CC 17th Triennial Conference Preprints, Melbourne, 15.–19. September 2014. Paris: ICOM, art. 0505.
Download siehe https://www.icom-cc-publications-online.org

2019

Gerhard Eggert, Rebekka Kuiter, Capucine Korenberg, Julia Ziegler, Sebastian Bette und Jörg Stelzner:
Metal Conservation, Cellulose Nitrate and the Oddy Test.
In: Claudia Chemello, Laura Brambilla and Edith Joseph (eds.), Metal 2019 – Proc. of the Interim Meeting of the ICOM-CC Metals Working Group. September 2-6, 2019, Neuchâtel, Switzerland. Paris: ICOM-CC, S. 125-131.
Download siehe https://www.icom-cc-publications-online.org

2021

Gerhard Eggert, Simon Steger und Christoph Krekel:
Korrosion durch Konservierung? Restaurierungsmaterialien im Oddy-Test.
In: Susanne Greiff, Frank Schlütter, Andreas Kronz und Sabine Klein (Hrsg.), Archäometrie und Denkmalpflege 2021, METALLA Sonderheft 11, S. 127-129.
https://doi.org/10.46586/metalla.v.2021.i11

2022

Simon Steger, Gerhard Eggert, Wolfgang Horn und Christoph Krekel:
Are cellulose ethers safe for the conservation of artwork? New insights in their VOC activity by means of Oddy testing.
Heritage Science10, 53. https://doi.org/10.1186/s40494-022-00688-4

Gerhard Eggert:
Saturated salt solutions in showcases: humidity control and pollutant absorption.
Heritage Science10, 54. https://doi.org/10.1186/s40494-022-00689-3

Gerhard Eggert, Gregory Dale Smith und Michael Samide:
Testing Silver Lacquers: What about Agateen #27?
In: Paul Mardikian (ed.), Metal 2022 – Proc. of the Interim Meeting of the ICOM-CC Metals Working Group. September 4-8, 2022, Helsinki. Paris: ICOM-CC, im Druck.
Download demnächst unter https://www.icom-cc-publications-online.org

Projektförderung: Deutsche Bundesstiftung Umwelt unter dem Az. 35831/01

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