Consortium for the Research of Artists‘ Materials Archives (CAMA)
Inhalt
Archive von Künstlerfarbenherstellern bewahren wichtige Quellen zur Materialität von Kunstwerken. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Netzwerk CAMA will die Zusammenarbeit zwischen Unternehmens- und Forschungspartnern befördern, um die Basis für eine multiperspektivische Erforschung der Geschichte der modernen europäischen Künstlerfarbenherstellung zu legen.
Geplant sind zwischen 2024–2027 insgesamt sechs Netzwerktreffen, u.a. in Düsseldorf, Köln und Cambridge. Die Ergebnisse werden projektbegleitend auf den Webseiten der Partner kommuniziert und voraussichtlich 2027 in einem öffentlichen Abschluss-Symposium an der ABK Stuttgart präsentiert.
Forschungslücken und Projektgründung
Die moderne und zeitgenössische Malerei birgt aufgrund ihrer Materialität zahlreiche neue Herausforderungen hinsichtlich ihrer Erhaltung, Präsentation und Vermittlung. Entscheidende Leerstellen in der kunsttechnologischen und konservierungswissenschaftlichen Forschung waren bislang sowohl der eingeschränkte Zugang zu den Archiven der europäischen Künstlerfarbenhersteller als auch die Vernetzung zwischen den relevanten Forschungsdisziplinen. Im Jahr 2022 gründeten das Restaurierungszentrum Düsseldorf, die Technische Hochschule Köln, die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und die Cultural Heritage Agency of the Netherlands deshalb das Konsortium für die Erforschung von Archiven für Künstlermaterialien (CAMA) und zur Entwicklung multidisziplinärer Forschungsinitiativen und Forschungsstrategien.[1] Seit 2024 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Projekt als wissenschaftliches Netzwerk (Projektnummer 537724692, Laufzeit 2024–2027).
In den Archiven der Künstlerfarbenhersteller liegen umfangreiche und entscheidende Informationen für die Erforschung europäischer Künstlerfarben verborgen. Dazu gehören u.a. Rezeptbücher, Rückstellproben von Produkten, Kataloge und Schriftverkehr mit Künstler*innen. Sie sind ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis der Materialität der modernen Malerei. Mehrheitlich unterlagen diese Archive bisher Firmengeheimnissen und standen der Forschung nur eingeschränkt zur Verfügung. Den Netzwerkpartnern ist es nun erstmals in der Geschichte der industriellen europäischen Farbherstellung gelungen, die Basis für eine umfassende und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit insgesamt elf Künstlerfarbenherstellern zu legen, die seit ihrer Gründung im 18. bzw. 19. Jahrhundert zu den europäischen Marktführern gehören: die drei deutschen Firmen Schoenfeld/LUKAS (Düsseldorf, ab 2018 Bracknell (GB), gegr. 1829), Schmincke (Erkrath, gegr. 1881) und Pelikan (Hannover, gegr. 1838), die niederländische Fa. Royal Talens (Apeldoorn, gegr. 1899), die zwei britischen Firmen Winsor & Newton (gegr. 1832 in London) und Roberson & Co. (1820–1985), die französische Fa. Lefranc & Bourgeois (gegr. 1720), die italienische Fa. Maimeri (gegr. 1923), die belgische Fa. Jacques BLOCKX fils s.a. (gegr. 1865) und die beiden norwegischen Firmen Alf Bjercke und Blåfarveværket.
[1] Schwaderlapp, Vanessa; Holubec, Inken M; Heydenreich, Gunnar: Unlocking histories: The Schoenfeld/LUKAS archive and its potential for art technological research. In: J. Bridgland, International Council of Museums (Hrsg.) Transcending Boundaries: Integrated Approaches to Conservation. ICOM-CC 19th Triennial Conference Preprints, Beijing, 17–21 May 2021. Paris (2021).
Van den Berg, Klaas Jan; Ferreira, Ester; Heydenreich, Gunnar; Holubec, Inken; Neugebauer, Wibke; Pause, Rika; Schwaderlapp, Vanessa; The Consortium for the Research of Artists’ Materials Archives (CAMA). In: J. Bridgland, International Council of Museums. Working Towards a Sustainable Past. ICOM-CC 20th Triennial Conference Preprints, Valencia, 18–22 September 2023. Paris (2023).
Ziele des Netzwerks
Das Netzwerk bündelt bereits vorhandene und neue Forschungsinitiativen und ermöglicht die Zusammenarbeit zwischen führenden kunsttechnologischen und konservierungswissenschaftlichen Forschungsinstitutionen, Archiven renommierter Künstlerfarbenhersteller, Vertreter*innen der Archiv- und Informationswissenschaften sowie der Digital Humanities. Angestrebt ist weiterhin die Konzeptionierung einer archivübergreifenden Forschungsinfrastruktur und die Entwicklung einer gemeinsamen, multidisziplinären Forschungsstrategie, die es ermöglichen wird, die Geschichte der europäischen Künstlerfarbenherstellung aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven zu beleuchten. Weitere Forschungsimpulse werden aus den Disziplinen der Kunstgeschichte, der Wirtschafts-, Unternehmens- und Sozialgeschichte, der Wissenschafts- und Stoffgeschichte sowie der Technik- und Industriegeschichte einfließen. Das Netzwerk verfolgt dabei sowohl einen Erkenntnis generierenden als auch einen anwendungsorientierten Ansatz, u.a. im Hinblick auf Datierungsfragen, die Fälschungs- und Provenienzforschung und die Entwicklung neuer Restaurierungsverfahren.
Netzwerkpartner
ABK Stuttgart, Prof. Dr. Wibke Neugebauer, Prof. Dr. Christoph Krekel
Centre de recherche des Musées de France, Paris, Nathalie Balcar, Dr. Elisabeth Ravaud
Doerner Institut der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, Dr. Patrick Dietemann, Dr. Heike Stege
Fachhochschule Potsdam, Prof. Dr. Felix Schäfer, Prof. Dr. Karin Schwarz
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, Frankfurt, Dr. Kai Balazs-Bartesch
Hamilton Kerr Institute at the Fitzwilliam Museum, Prof. Dr. Erma Hermens, Dr. Sally Woodcock
H. Schmincke & Co. GmbH & Co. KG, Heiko Alzer
Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte, Prof. Dr. Matthias Krüger
Museum of Cultural History, University of Science, Oslo, Dr. Hartmut Kutzke
NOVA School of Science and Technology Lisbon, Dr. Vanessa Otero
Paris Lodron Universität Salzburg, Prof. Dr. Sebastian Haumann
Pelikan Vertriebsgesellschaft mbH & Co. KG, Dr. Detmar Schäfer, Wilfried Leuthold
Restaurierungszentrum Düsseldorf, Inken Maria Holubec
Royal Talens, Daphne van Mansom
Tate Modern London, Dr. Bronwyn Ormsby, Dr. Judith Lee
Technische Hochschule Köln, Cologne Institute of Conservation Sciences, Prof. Dr. Gunnar Heydenreich, Dr. Doris Oltrogge, Prof. Dr. Ester Ferreira, Sarah Critchley
The Cultural Heritage Agency of the Netherlands und University of Amsterdam, Prof. Dr. Klaas Jan van den Berg, Fahed Ibrahim, Dr. Rika Pause
The Norwegian Institute for Cultural Heritage Research, Barbro Wedvik
Universität Köln, Prof. Dr. Øyvind Eide
Université de Liège und Musées Royaux des Beaux-Arts Belgique, Prof. Dr. David Strivay, Dr. Catherine Defeyt
University of Pisa, Dr. Ilaria Bonaduce
Prof. Em. Dr. Leslie Carlyle
Dr. Wolfgang Müller (ehem. Laborleiter der Fa. Schmincke und LUKAS)
Ingo Sprenger (ehem. Laborleiter der Fa. LUKAS)
Das Netzwerk umfasst neben den aufgeführten ständigen Netzwerkpartnern auch Nachwuchswissenschafter*innen (MA und PhD students).
1. Netzwerktreffen im LUKAS Archiv / RED in Düsseldorf
Das Auftakttreffen fand am 13. und 14. Juni 2024 am Restaurierungszentrum Düsseldorf (RED) statt, wo seit 2018 das Firmenarchiv des traditionsreichen Künstlerfarbenherstellers LUKAS beheimatet ist. 33 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus acht europäischen Ländern tauschten sich über den Status quo in den beteiligten Archiven, die Vorarbeiten der einzelnen Netzwerkmitglieder und mögliche nächste Schritte bei der Erarbeitung einer Forschungsstrategie und einer dafür geeigneten Forschungsinfrastruktur aus.
Besonders bereichernd waren die Führungen durch das LUKAS-Archiv und die damit verknüpften Erfahrungen und Eindrücke aus der Praxis der Farbherstellung, die von ehemaligen und aktuellen Mitarbeitenden in die Diskussionen eingebracht wurden. Wir bedanken uns bei Direktorin Joanna Phillips und dem Team des Restaurierungszentrums – allen voran Inken Maria Holubec – für die ausgezeichnete Organisation!
2. Netzwerktreffen bei der Fa. Schmincke und an der TH Köln
36 Teilnehmer*innen unterschiedlicher Fachdisziplinen waren an zwei Tagen zunächst bei der Fa. Schmincke in Erkrath und anschließend am CICS der TH Köln zu Gast, um die beim ersten CAMA-Meeting in Düsseldorf aufgeworfenen Fragen gemeinsam zu vertiefen.
Der erste Tag stand ganz im Zeichen der Künstlerfarbenproduktion und des zugehörigen Archivs bei der Fa. Schmincke: Nach einer Führung durch die aktuellen Produktionsräume stand am Nachmittag die Geschichte der Firma und der Aufbau des Firmenarchivs im Vordergrund. Mehrere Vorträge umkreisten aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven die Fragen, welchen Wert ein solches Firmenarchiv heute für die Firmen selbst und für Forschende unterschiedlicher Disziplinen haben kann, welche Fragen ein solches Archiv beantworten kann und wie die Informationen, die dort enthalten sind, erschlossen und nutzbar gemacht werden können. Ein eigens konzipierter Workshop mit diversen Archivmaterialien hatte das Ziel, die TeilnehmerInnen für die vielfältigen Herausforderungen und Fragestellungen im Umgang mit diesen Materialien zu sensibilisieren – beispielsweise im Hinblick auf ihre genaue Datierung – die sowohl als Basis für die zukünftige Forschung, als auch für die Konzeptionierung einer digitalen Infrastruktur bedacht und schrittweise gelöst werden müssen. Am Ende des ersten Tages ergab sich so ein rundes Bild, das zum einen den reichen Schatz an Archivmaterialien im Kontext ihrer Entstehung zeigte, aber auch die vielfältigen Herausforderungen im Umgang mit ihnen aufzeigte.
Im Fokus des zweiten Tages an der TH Köln stand zum einen der Überblick über laufende Forschungen der verschiedenen Netzwerkpartner als Ausgangspunkt für die Entwicklung von gemeinsamen Forschungsfragen. Zum anderen wurde die zentrale Frage diskutiert, ob und wie die Informationen in den Archiven in einer digitalen Infrastruktur zukünftig strukturiert und miteinander verbunden werden könnten, um auch archivübergreifende Forschungsfragen bearbeiten zu können und welche verschiedenen Ansätze zur Erschließung und Digitalisierung es derzeit bereits in den Archiven gibt.
Am Vormittag stellten die NetzwerkteilnehmerInnen zunächst ihre aktuellen Forschungsarbeiten vor, die in Kooperation mit den verschiedenen Archiven durchgeführt werden. Das breite Spektrum an vertretenen Forschungsansätzen aus Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft, Kunstgeschichte, Digital Humanities, Archiv- und Informationswissenschaften und Unternehmensgeschichte sowie der enge Kontakt zu den Firmen und ihren aktuellen wie ehemaligen Mitarbeitenden erweist sich dabei als unschätzbares Potenzial für das umfassende Verständnis der Archivbestände: Die Vielfalt der beteiligten Disziplinen spiegelt sich in den diversen Fragestellungen und ihrer jeweiligen, spezifischen Methodik wider, die durch die Erfahrungen aus der Praxis der Farbherstellung sinnvoll ergänzt werden. Gleichzeitig liegt hier in dieser Vielfalt aber auch eine zentrale Herausforderung bei der Koordinierung zukünftiger Forschung zu den Archiven: Die Entwicklung einer gemeinsamen Forschungsstrategie wird Aufgabe der kommenden Netzwerktreffen sein.
Der Nachmittag des zweiten Tages war dem Thema „Digitale Infrastruktur“ gewidmet: Anhand von zwei Beispielen – der Fa. Winsor & Newton und der Fa. LUKAS – diskutierten die TeilnehmerInnen, wie und in welcher Form die Informationen in den Archiven digital erschlossen und zugänglich gemacht werden könnten. Auch hier ergaben sich vielfältige Aufgaben, die auf den nächsten Netzwerktreffen bearbeitet werden. Hierzu gehören beispielsweise die Entwicklung einer standardisierten, archivübergreifenden Terminologie für die unterschiedlichen Objekt- und Quellenarten, eine Kategorisierung der Objekte und die Definition von relevanten Metadaten. Für die archivübergreifende Forschung ist es außerdem wichtig, die diversen Quellenarten in den Archiven den verschiedenen Arbeits- und Produktionsschritten bei der Herstellung zuzuordnen, um sie nach ihrer ursprünglichen Funktion und ihren Inhalten zu systematisieren und auf diese Weise eine fundierte Basis für zukünftige archivübergreifende, vergleichende Forschungsprojekte zu legen.
Diese Fragen werden in kleinen, interdisziplinären Arbeitsgruppen für die einzelnen Firmen und Archive bis zum nächsten Netzwerktreffen bearbeitet und dort dann zusammengeführt und diskutiert.
Das zweite CAMA-Meeting wäre nicht möglich gewesen ohne die gemeinsame inhaltliche Planung und organisatorische Vorbereitung mit Gunnar Heydenreich, Sarah Critchley, Laura Gras, Doris Oltrogge (alle TH Köln) sowie Markus Baumgart, Heiko Alzer, Susanne Goch und Simona Ludwig der Fa. Schmincke und Wolfgang Müller. Im Namen des gesamten Netzwerks bedanken wir uns sehr herzlich für die Gastfreundschaft!
Eine Zusammenfassung des Meetings von Sarah Critchley in englischer Sprache findet sich auf der Webseite des CICS.
Das dritte CAMA-Netzwerktreffen wird am 11.–12. Dezember 2025 in den Niederlanden bei der Fa. Talens stattfinden und sich auch mit Möglichkeiten der Konservierung der Archivbestände beschäftigen.
Das Netzwerk ist offen für eine Erweiterung um weitere Firmenarchive europäischer Künstlerfarbenhersteller und ihre Forschungspartner.
Projektorganisation
Prof. Dr. Wibke Neugebauer, ABK Stuttgart
Prof. Dr. Gunnar Heydenreich, CICS, TH Köln
Inken Maria Holubec, RED Restaurierungszentrum Düsseldorf
Klaas Jan van den Berg, Cultural Heritage Agency of the Netherlands; University of Amsterdam
Kontakt
Prof. Dr. Gunnar Heydenreich
gunnar.heydenreich@th-koeln.de