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Der Kunstnagel als Schnittstelle von Körper und Raum.
Der Kunstnagel als grenzüberschreitendes Element.

Der Kunstnagel als Körperverlängerung.
Der Kunstnagel als Körpermodifikation.

Der Kunstnagel als Symbol der Machtverhandlung.
Der Kunstnagel als kritisches Werkzeug.
Der Kunstnagel als Ornament des Widerstands.

Der Kunstnagel als Kralle.
Der Kunstnagel als Waffe.

Der Kunstnagel als Medium der Sichtbarkeit.
Der Kunstnagel, der uns alle vereint.

Der Kunstnagel als Artefakt von Weiblichkeit.
Der Kunstnagel als distanzierendes Element.

Der Kunstnagel ist politisch. Der Kunstnagel ist räumlich.
Der Kunstnagel ist nicht (nur) dekorativ.

Der Kunstnagel fordert heraus,
irritiert,
dekonstruiert
den männlichen Blick.
Dekonstruiert dessen räumliche Normierung.

Der Kunstnagel lässt uns wachsen.

Finger
Hand
Körper
Raum

Ich höre ein Kratzen.

Raum. Körper. Macht.
Körpermodifikationen sind Teil unseres Alltags geworden. Ob subtraktiv oder additiv – folgen sie populären Körperbildern, die in inszenierten Räumen verbreitet und reproduziert werden. Es sind Ideale, nach denen wir streben – und wir tun vieles, um ihnen gerecht zu werden. Wir befinden uns im Zentrum eines ständigen Dialogs zwischen Unterdrückung und Selbstbestimmung. Im physischen wie im digitalen Raum verhandeln wir täglich unser Körperbild. Raum und Körper – gesellschaftlich wie physisch – bedingen einander.
Gestern, heute, morgen bewegen wir uns durch öffentliche und private Räume. Wir eignen sie uns an, besetzen und transformieren sie – soweit es möglich ist. Doch wir bewegen uns meist innerhalb eines Rahmens, der durch bereits gezogene Grenzen definiert ist. Der Körper fungiert als Maßstab. Gleichzeitig setzt der Raum selbst Maßstäbe. Körper und Raum formen sich gegenseitig. Dieses Formen ist nicht neutral – es bedeutet Macht. Der etablierte Maßstab ist männlich. Raum ist männlich gedacht: durchdrungen von der Objektivierung und Fragmentierung des weiblich gelesenen Körpers. Wir alle kennen diesen Blick – der uns von oben bis unten mustert, der den Körper aufteilt in Zonen des Begehrens und solche der Kritik. Ein Blick, der normiert, bewertet, kategorisiert. Dieser Blick ist räumlich eingeschrieben. Er drängt uns in die Ecke. Er nimmt uns Raum. Er nimmt uns unseren Körper weg.
Macht.
Durch Körpermodifikationen fügen wir uns diesem Blick – doch gerade in diesen Modifikationen liegt auch ein feministisches Potenzial: Die Möglichkeit, den Blick zu dekonstruieren, ihn zurückzuwerfen und den Raum neu zu codieren. Es ist eine Strategie der Aneignung –, Störung und der Transformation.
Der Kunstnagel.
Analysiert man den Kunstnagel als additives, körpermodifizierendes Element, lässt sich erkennen, dass er als Schnittstelle im Körper, Raum und Norm Gefüge agiert. Durch seine Technik der Verlängerung überschreitet er nicht nur die physischen Grenzen des Körpers – er besitzt auch das Potenzial, normative Vorstellungen von Körperlichkeit und räumlicher Ordnung infrage zu stellen. Seine Länge lässt sich sowohl als Maßstab der Selbstbestimmung als auch der Unterdrückung lesen. Je größer die Unterdrückung – und je stärker das Bedürfnis nach Selbstbestimmung –, desto länger muss dieser Nagel sein. Der Kunstnagel markiert einen Körper, der sich sichtbar macht – und zugleich normativen Blicken ausgesetzt bleibt. In seiner Übertreibung trägt er ein doppeltes Potenzial: Sichtbarkeit zu erzeugen und Normen zu entblößen. Er fungiert als Instrument der Normentlarvung – durch seine Fähigkeit, über die körperliche Grenze hinaus in den Raum zu greifen, ihn zu vermessen, zu markieren, neu zu besetzen und dadurch zur Verhandlung zu stellen. Der Kunstnagel wird so zum Werkzeug eines widerständigen Körper-Raum-Verhältnisses.
Tools.
Im Sinne von Sara Ahmed lässt sich der Kunstnagel als feministisches Tool verstehen – als Werkzeug, das aus Erfahrung, Verletzung und Widerstand hervorgeht. Er ist Teil einer Praxis, die mit dem Körper gegen normative Ordnungen arbeitet – und neue Realitäten denkbar macht.
Der Kunstnagel aus Glas.
Der Kunstnagel, der in der Nagelkunst durch Acrylgel und UV-Licht additiv angebracht wird, transformiert in meiner Arbeit zu einem Element aus Glas. Dieses Material eröffnet ein weiteres Spannungsfeld, das die Ambivalenz des Kunstnagels nicht nur sichtbar, sondern fühlbar macht. Glas trägt eine doppelte Bedeutung in sich: Es steht gleichermaßen für Fragilität und Bedrohung. Seine Zerbrechlichkeit verweist auf die Verletzbarkeit des Körpers, während seine Härte und Schärfe eine potenzielle Gefahr in sich bergen. Der gläserne Kunstnagel wird so zum Sinnbild eines Körpers im Spannungsverhältnis zwischen Schutz und Angriff, Sichtbarkeit und Verwundbarkeit, Anpassung und Widerstand.
Choreografie des Widerstands.
Das kollektive Tragen der Glasnägel stiftet Verbundenheit – mit dem eigenen Körper und mit dem Körper der anderen. Sanfte Berührungen, Streicheln, Tasten: Es entsteht ein körperlicher Dialog.
Nach und nach beginnt das Kollektiv, nicht mehr nur die Körper, sondern den Raum selbst abzutasten. Es vermisst ihn, tastet seine Grenzen aus, passt seine Bewegungen an. Mit wachsendem Vertrauen in die Werkzeuge richten sich die Hände nach oben – werden offensiver, fordernder, sichtbar. Aus Berührung wird Haltung. Aus Geste wird Protest.

instagram.com/sarahmariaserve